DIE MEDIATION, ALTERNATIVE ARTEN DER BEILEGUNG INTERNATIONALER PROZESSE AUS FRANZÖSISCHER SICHT*
von Louis B. Buchman
Rechtsanwalt, zugelassen in Paris und New York
* Anwalts Revue 4/2000 (Helbing & Lichtenhahn, 2000)
EINLEITUNG
Das Ziel dieses Artikels liegt nicht darin, die in Frankreich oder in andern Ländern auf gerichtlich eingeleitete Mediationsverfahren anwendbaren Regeln zu kommentieren. Dieser Artikel hat ein weiter und zugleich enger gefasstes Ziel. Weiter gefasst, weil er dazu beitragen soll, die Vermittlung zu fördern; enger gefasst, weil er die Mediation im Bereich des internationalen Rechtsstreits betrifft.
Bevor ich die Vorteile der Mediation aufzähle, möchte ich zunächst versuchen, die Mediation zu definieren. Jedoch erscheinen eingangs zwei Bemerkungen zum besseren Verständnis des Themas sinnvoll:
Erstens ist die Mediation eigentlich ein Hilfsvorgang zur Beilegung von Rechtsstreitigkeiten, der sich ausserhalb jeglichen nationalen Kontexts bewegen kann, d.h. ohne Zuordnung zu einer bestimmten nationalen Rechtsordnung. Darüber hinaus kann diese Art der Schlichtungsmassnahmen von jedermann, also nicht notwendigerweise von Anwälten ausgeübt werden. Folglich stellt der Umstand, Anwalt in Paris, New York oder anderswo zu sein, keine besondere Voraussetzung für die Durchführung der Mediation dar. In dieser Hinsicht nähert sich die Mediation der Lex Mercatoria an, die dem verstorbenen Professor Berthold Goldman so teuer war, da sie die Schranken der gerichtlichen Zuständigkeit und sogar die der beruflichen Befähigung überwindet (ein Ingenieur oder ein Geschäftsmann zum Beispiel können sich als ebenso guter Mediator erweisen als ein Anwalt).
Zweitens ist die Anzahl der Mandanten von beratend tätigen Anwälten gross, die irgendwann einmal in Verfahren namentlich im Ausland verwickelt worden sind, von denen sie sich kaum loszumachen wussten. Häufig wandten sie sich erst in diesem späten Stadium verzweifelt an uns, damit wir Auswege aus dieser misslichen Lage fänden. In dieser Situation müssen wir unserer Funktion als Ratgeber nachkommen, indem wir ihnen nahelegen, das Mediationsverfahren einzuschlagen.
Was ist Mediation ? In zahlreichen Ländern wird Mediation (Vermittlung) seit langer Zeit auch Schlichtung (“conciliation”) genannt; die Schlichtung ist eine Art der Streitbeilegung, die insbesondere in diplomatischen Angelegenheiten sehr verbreitet ist.
Es ist bemerkenswert, dass derzeit noch in weiten Teilen der Welt, insbesondere in China und allgemein in Fernost die Mediation die gebräuchlichste Art der Streit-beilegung darstellt, so dass dort Gerichtsverfahren und nicht das Schlichtungsverfahren als alternative Art der Streitbeilegung angesehen werden, die zudem wenig gebräuchlich sind, da sie der Kultur dieser Länder entgegenstehen.
Professor Charles Jarrosson, ein berühmter Autor und bekannter Schiedsrichter, hat geschrieben, dass zwischen der Vermittlung (“mediation”) und der Schlichtung (“conciliation”) Nuancen existierten, dergestalt, dass die Mediation und die Schlichtung zwar der gleichen Natur angehörten, aber mit unterschiedlichen Abstufungen: die Mediation sei eine aktivere Form der Schlichtung, denn bei der Schlichtung (“conciliation”) habe der Schlichter nur die Rolle, den Rechtsstreit zu beurteilen, wohingegen der Mediator in der Mediation die Rolle innehabe, Lösungen voranzutreiben.
Ich für meinen Teil werde mich nicht an solchen Differenzierungen beteiligen, da meines Erachtens die Mediation und die Schlichtung dasselbe sind, nämlich eine Art der nichtstreitigen Prozessbeilegung.
I – Zu welchem Zeitpunkt ist die Mediation wünschenswert ?
Zur Beantwortung dieser Frage müssen zunächst die Argumente, die gegen eine Mediation sprechen, untersucht werden.
Die drei in diesem Zusammenhang am häufigsten benutzten Argumente sind folgende:
i) Es ist ein Zeitverlust, weil Einigungsversuche schon vorher unternommen wurden (zum Beispiel vor Einleitung eines Verfahrens) und scheiterten.
ii) Das Schlichtungsverfahren ist gefährlich ja sogar kontraproduktiv, wenn es während eines anhängigen Gerichtsverfahrens angestrengt wird, da die zeitliche Verzögerung, die es unvermeidlich nach sich zieht, allein dem Beklagten zugute kommt.
iii) Die Mediation verursacht zusätzliche Kosten, da sie – selbst wenn eine Einigung erzielt wurde – nicht zu einem vollstreckbaren Titel wie ein Urteil oder zur potentiellen Vollstreckbarkeit eines Schiedsspruches führt.
Wir werden nun die Argumente, die relativ leicht gegen das erste und dritte Argument vorgebracht werden können, näher betrachten. Gerechterweise muss man auch die vier am häufigsten zugunsten der Mediation angeführten Argumente nennen:
i) Schlichtungsverfahren haben eine hohe Erfolgsquote. Die amerikanischen Statistiken, die wohl zuverlässigsten, belegen, dass immerhin 70 % bis 75 % der Parteien, denen eine Mediation vorgeschlagen worden ist, diesen Versuch wagen und dass 80 % dieser Schlichtungsverfahren in einer unterzeichneten Einigung enden.
ii) Es gibt kein ernstes Risiko, das gegen den Versuch einer Mediation spricht: Die Parteien bleiben zu jedem Zeitpunkt Herr des Verfahrens, da sie jederzeit das Schlichtungsverfahren aufgeben können. Es wird sogar die Ansicht vertreten, dass eine Mediation nie einen Schlag ins Wasser bedeuten kann, da sie auch dann, wenn durch sie keine unterzeichnete Einigung zwischen den Parteien erzielt worden ist, dazu führt, dass die Parteien nunmehr besser über den Stand ihres Rechtsstreits informiert aus diesem Vermittlungsversuch hervorgehen. Demzufolge hat der Streitbeilegungsversuch zumindest dazu gedient, den Gegenstand des Rechtsstreits zu definieren und somit einzugrenzen.
iii) Die Mediation kostet praktisch nichts. Denkt man an die Kosten eines Schiedsverfahrens, so erscheint die Mediation als eine äusserst wirtschaftliche Lösung.
iv) Die Mediation hat die Tendenz, festgefahrene Situationen zu lösen. Wird eine Mediation geschickt geführt, so geschieht eine Art Wunder: Die Parteien beginnen wieder, einander zuzuhören und sogar miteinander zu sprechen. Der bis dahin unterbrochene Dialog kann wieder neu aufgenommen werden.
Bei einer Mediation verlässt man im Unterschied zu einem gerichtlichen oder schiedsgerichtlichen Verfahren das hergebrachte Denkschema des Schadensersatzes, d.h. der Wiedergutmachung eines Schadens durch eine Geldleistung, zugunsten eines wesentlich kreativeren Ansatzes, den die Amerikaner bildlich gesprochen “den Kuchen grösser werden lassen” nennen.
Einer der überzeugendsten Verfechter der Mediation, Professor Robert Mnookin der Harvard University, sagte einmal, dass der Erfolg der Mediation auf zwei einfachten Ideen gegründet sei:
- erstens sei die Zusammenführung unterschiedlicher Interessen besser als das Beharren auf juristischen Positionen;
- zweitens zeitigten Lösungen, die gemeinsam erarbeitet worden sind, bessere Wirkungen als diejenigen Lösungen, die darin bestehen, Geldbeträge zwischen den Gegnern zu verteilen.
Kommen wir nun zum ersten und dritten Argument gegen die Mediation zurück. Warum sie sind diese Argumente nicht haltbar?
In Bezug auf das erste Argument ist festzuhalten, dass der Umstand, vor Beginn des Prozessverfahrens nicht zu einer gütlichen Einigung gefunden zu haben (was in der Praxis häufig vorkommt), in der Regel darin begründet ist, dass die Bemühungen, die in dieser Hinsicht unternommen wurden, entweder ohne jeglichen Beistand erfolgten oder eben von Anwälten unternommen wurden, die weder die Gewohnheit noch die Hoffnung oder den Wunsch hatten, diesen Einigungsbemühungen zum Erfolg zu verhelfen.
Mit anderen Worten, handelt es sich dabei um Anstrengungen, die nur der Form halber unternommen werden.
Was das dritte Argument angeht, so ist der angeführte Grund, den Versuch einer Mediation deswegen nicht unternehmen zu wollen, weil man am Ende der Einigung keinen vollstreckbaren Titel erhält, nicht überzeugend, da es den Parteien freisteht, nach erzielter und unterzeichneter Einigung den Mediator als Schiedsrichter zu benennen, damit dieser die stark eingegrenzte Aufgabe wahrnimmt, die zwischen den Parteien erzielte Einigung in einem Schiedsspruch verbindlich festzuhalten.
Nach diesen langen, aber notwendigen Überlegungen, kommen wir nun zur Ausgangsfrage zurück, zu welchem Zeitpunkt die Mediation wünschenswert ist. Die Antwort hierauf ist einfach: zu jeder Zeit.
In der Tat kann die Mediation jederzeit versucht werden, sogar wenn bereits ein schiedsgerichtliches oder ein gerichtliches Verfahren hängig ist.
Es ist indessen klar, dass die Erfolgsaussichten für den Einigungsversuch noch grösser sind, wenn bestimmte Umstände zusammentreffen:
i) In Hinblick auf die Art des Rechtsstreits
Gewisse Rechtsstreitigkeiten sind aufgrund ihrer Rechtsnatur kein günstiges Terrain für eine Mediation. So ist die Mediation, die die Zusammenarbeit beider Parteien erfordert, z.B. im Falle von Urheberrechtsverletzungen, unlauterem Wettbewerb oder treuwidrigem Verhalten kontraindiziert.
Dies gilt in gleicher Weise, wenn eine Partei überzeugt ist, auf der Gewinnerseite zu sein oder ihr Ziel darin besteht, eine objektive Entscheidung in einer zu recht zweifelhaften Frage zu erwirken oder wenn sie einen Präzedenzfall schaffen will oder einen öffentlichen Sieg davontragen möchte, durch den sie die unterliegende Partei demütigen kann, indem sie diesen publik macht. In all diesen Fällen ist es nicht sinnvoll, sich dem Schlichtungsverfahren zuzuwenden.
Die Mediation sollte indes versucht werden, wenn die Parteien folgende Prioritäten haben:
- wenn sie sich eine absolute Kontrolle über den Vorgang der Streitbeilegung bewahren wollen,
- wenn sie während des gesamten Verfahrens die Vertraulichkeit bewahren möchten,
- wenn sie ihre bisherigen Beziehungen aufrecht erhalten oder ausbauen möchten,
- wenn es ihnen darauf ankommt, dass ihr Rechtsstreit zügig und kostengünstig beigelegt wird.
ii) Im Hinblick auf die Beziehungen der Parteien
Es liegt auf der Hand, dass die Parteien umso weniger geneigt sind, ihren Streit in der Öffentlichkeit auszutragen, mit einem klar erkennbaren Gewinner und Verlierer, je älter die Beziehungen der Parteien sind oder je mehr Pläne sie für diese Verbindung in der Zukunft hegen.
Es sei angemerkt, dass für Parteien, die um die Fortsetzung ihrer Beziehungen auf lange Sicht bemüht sind, solche Lösungen interssant sind, die darauf abzielen, den Kuchen, den sie sich teilen müssen, grösser werden zu lassen.
Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn sich die Parteien auf einem engen Markt bewegen, wodurch sie gehalten sind, weiter zusammenzuarbeiten oder wenn sie ähnliche Unternehmenstrategien verfolgen.
iii) Im Hinblick auf die Person des Mediators
Unter bestimmten Umständen, namentlich im Rahmen komplexer Rechtsstreitigkeiten, die ein Spezialgebiet betreffen, kann es sinnvoll sein, nicht nur einen, sondern zwei Schlichter zu ernennen, nämlich einen Fachmann auf dem betreffenden Gebiet, z.B. einen Techniker und einen Praktiker auf dem Gebiet der Mediation.
Die Bennung von zwei Co-Mediatoren erscheint ebenfalls sinnvoll, wenn die Parteien, wie dies in internationalen Rechtsstreitigkeiten häufig verkommt, aus sehr unterschied-lichen Kultur- und Sprachkreisen stammen
Ich bin der Ansicht, dass die Auswahl eines guten Mediators (wie auch eines guten Schiedsrichters) das Schlüsselelement des Prozesses ist.
Bei der Auswahl des Mediators sollten die Parteien die Antworten, auf folgende Fragen vor Augen haben:
- Wünschen die Parteien einen Schlichter, der die Situation neutral bewertet und ihnen die Möglichkeiten, die angesichts einer gütlichen Einigung offenstehen, aufzeigt oder wollen sie jemanden, der ihnen direkt hilft, die Unstimmigkeiten zwischen ihnen herauszukristallisieren und hierfür eine ihren Interessen gerechte Lösung zu finden?
- Wollen die Parteien einen Mediator, der hinsichtlich der technischen Seite ihres Rechtsstreits über den entsprechenden Sachverstand verfügt oder wollen sie einen vor allem auf dem Gebiet der Mediation erfahrenen Vermittler?
- Welche Staatsangehörigkeit soll der Mediator besitzen (oder gerade nicht besitzen)?
- Wollen die Parteien wirklich einen Mediator, der in keinerlei früherer oder gegenwärtiger Verbindung zu ihren Angelegenheiten stand noch steht oder jemanden, der beiden Seiten bislang unbekannt ist oder jemanden, der keinerlei vorhergehende persönliche Kenntnis des Streitgegenstandes hat?
Nach meiner persönlichen Erfahrung besteht keine Notwendigkeit, einen völlig unab-hängigen Mediator (wie dies bei Schiedsrichtern jedoch der Fall ist) zu benennen. Es kommt allein darauf an, dass der Mediator den Parteien eindeutig sämtliche denkbaren Interessenskonflikte aufzeigt und er im Schlichtungsprozess tatsächlich neutral ist.
Folglich erscheint mir der ideale Mediator derjenige zu sein, der beiden Parteien bekannt ist, sich in ihrem Fach auskennt und ihr Vertrauen geniesst.
iv) Im Hinblick auf den Rahmen der Mediation
Die Mediation kann sich in einen institutionellen Rahmen eingebettet sein oder ad hoc ins Leben gerufen werden. Es kann sogar ein gemischter Rahmen, ein Zwischending, gewählt werden:
Die Wahl zwischen der institutionalisierten Mediation oder ad-hoc-Schlichtung wird beträchtlich von dem Erfahrungshorizont der Parteien abhängen sowie von der Erfahrung, die ihr Berater im Bereich der Mediation besitzt. Sind die Parteien und ihre Berater mit der Mediation vertraut, so ist die ad-hoc-Schlichtung gangbar, ansonsten ist es ratsamer, sich an eine Schlichtungsstelle zu wenden.
Es sei darauf hingewiesen, dass der hybride Rahmen des Schlichtungsverfahrens es den Parteien ermöglicht, eine ad-hoc-Vermittlung vorzunehmen, wobei mit geringem Aufwand die Mediationsregeln einer Schlichtungsstelle angewendet werden und hierdurch die Kosten, die bei der Inanspruchnahme von Diensten einer Institution anfallen würden, vermieden werden.
Was den Ablauf der Mediation innerhalb des gewählten Rahmens betrifft, so findet meistens eine erste gemeinsame Sitzung der beiden Parteien, gefolgt von einer Zusammenkunft des Mediators mit jeder Partei statt; danach kommt es zu einem zweiten gemeinsamen Zusammentreffen und raschen Verhandlungen der Parteien, bis dass eine Einigung in Sicht ist.
Zwei Bemerkungen sind hier notwendig, damit die Erfolgschancen optimal sind: Erstens ist es wesentlich, dass der Mediator sich vergewissert, dass die Parteien von jemandem vertreten werden, der über die Vollmacht zum Abschluss eines Vergleiches verfügt und zweitens ist darauf zu achten, dass den Parteien die Möglichkeit gegeben ist, sich wirklich zu äussern, d.h. dass ihnen nicht das Wort von ihren Anwälten abgeschnitten wird.
Diesbezüglich sollte der Mediator, nachdem die Anwälte die Position ihrer Mandanten dargelegt haben, den Vertreter jeder Partei auffordern, ihm zu schildern, wie er selbst den Streit erlebt hat. Mit Blick auf diesen Umweg kann man sagen, dass die Mediation der Mäeutik, dieser den griechischen Philosophen eigenen Argumentationstechnik, sehr nahe kommt.
II – Betrachtung einiger Schlichtungsordnungen
Die nachfolgenden Betrachtungen sind nur im Kontext eines institutionellen Mediationsverfahrens von Interesse.
Es handelt sich zunächst um die Schlichtungsordnung der Internationalen Handels-kammer, die in beträchtlichem Umfang eingesetzt wird und dies seit geraumer Zeit. Ihr Vorteil besteht nicht zuletzt in ihrer Kürze, da sie nur elf Artikel umfasst.
Das von der Internationalen Handelskammer verfolgte Ziel ist in der Präambel festgehalten: “Die vergleichsweise Einigung internationaler Wirtschaftsstreitigkeiten ist eine wünschenswerte Lösung. Die Internationalen Handelskammer stellt folgende Schlichtungsordnung zur Verfügung, um eine gütliche Regelung von Wirtschafts-streitigkeiten zu erleichtern.”
Der Verfahrensablauf ist klassisch: Er beginnt mit einem Antrag, gefolgt von einer Vorbereitungsphase, die mit einem Schlichtungsversuch abschliesst.
Jeder Verfahrensabschnitt ist seinerseits in mehrere Punkte untergliedert.
So obliegt es z.B. nach der ICC-Schlichtungsordnung dem Generalsekretär des Gerichtshofs, den Schlichter zu benennen. In Wirklichkeit hört dieser vor der Ernennung des Schlichters die Parteien an.
Des weiteren erfolgt gemäss der ICC-Schlichtungsordnung die Aushändigung von Dokumenten seitens der Parteien an den Schlichter nur auf dessen Verlangen.
Artikel 5.1 der Schlichtungsordnung sieht vor, dass der Schlichter “das Schlichtungsverfahren nach freiem Ermessen unter Beachtung der Grundsätze der Unparteilichkeit, Billigkeit und Gerechtigkeit durchführt". Für die Internationale Handelskammer (ICC) ist daher die Unabhängigkeit des Schlichters keine Voraussetzung.
Die ICC-Schlichtungsordnung schreibt ganz selbstverständlich die Vertraulichkeit des Schlichtungsverfahrens und den Schutz des Schlichters fest, dergestalt dass dieser im Falle des Scheiterns der Mediation nicht als Zeuge in einem späteren gerichtlichen Verfahren oder in einem Schiedsgerichtsverfahren benannt und gehört werden kann.
Eine weiteres institutionelles Regelwerk ist die UNICITRAL-Schlichtungsordnung, der Kommission der Vereinten Nationen für Internationales Handelsrecht.
Dieses Regelwerk ist am 4. Dezember 1980 von der Hauptversammlung der Vereinten Nationen verabschiedet worden. Meines Wissens wird diese Schlichtungsordnung jedoch nur recht wenig angewandt.
Für die Spezialmaterie der urheberrechtlichen Rechtsstreitigkeiten ist auf die Initiative der OMPI, Weltorganisation für geistiges Eigentum (Organisation Mondiale de la Propriété Intellectuelle), hinzuweisen, die seit Oktober 1994 ihre Schlichtungsordnung anbietet, unter der Leitung einer u.a. zu diesem Zweck geschaffene Institution, nämlich der Schieds- und Schlichtungsstelle der OMPI in Genf (Centre d’Arbitrage et de Médiation de l’OMPI).
Es sei bemerkt, dass in der OMPI–Schlichtungsordnung die Unabhängigkeit des Vermittlers gemäss Art. 7 dieses Regelwerkes vorausgesetzt wird.
Das OMPI-Schlichtungsverfahren kann überall durchgeführt werden, findet es jedoch in Genf statt, so bietet die Schlichtungsstelle an, den Parteien Besprechungsräume zur Verfügung zu stellen.
In Frankreich ist jüngst eine neue Schlichtungsordnung in der Spezialmaterie des Seerechts von der Pariser Seeschiedsgerichtskammer “Chambre Arbitrale Maritime” geschaffen worden.
SCHLUSSFOLGERUNGEN
Aus meiner Erfahrung ist die Mediation ein Verfahren, in dessen Verlauf eine Reihe von Hindernissen aus dem Weg geräumt werden müssen, damit reelle Erfolgsaus-sichten bestehen.
Das erste Hindernis liegt darin, sich selbst vom Nutzen der Mediation zu überzeugen.
Ist dieses erste wesentliche Hindernis überwunden worden, so ist es notwendig, dass der Anwalt, der eine der Parteien berät, davon überzeugt ist, dass ein Schlichtungsversuch jederzeit geeignet ist (siehe oben) und dass er sich in einem internationalen Kontext darum bemüht, den ausländischen Korrespondenzanwalt (den er möglicherweise zur Lösung des Gerichts- oder Schiedsgerichtsverfahrens einbezogen hat) zu überzeugen, an dem Schlichtungsversuch mitzuwirken anstatt sich diesem entgegenzustellen.
Danach muss der potentiell beste Mediator gesucht werden, was nicht leicht ist; hat man diesen gefunden, so muss er davon überzeugt werden, diese Aufgabe zu übernehmen, selbst wenn er psychologisch nicht darauf vorbereitet ist. Dieser Schritt wird gewöhnlich gemeinsam von den Anwälten beider Parteien unternommen.
Es ist ausserdem unabdingbar, dass jede Partei eine Person an den Verhandlungstisch entsendet, die über Vollmacht zum Vergleichsabschluss verfügt.
Des weiteren ist darauf zu achten, dass für den Fall, dass die Zeit beim Auseinandergehen der Parteien für ein ordnungsgemässes Protokoll nicht ausreicht, jede erzielte Einigung zumindest als Punkt in einer Auflistung festgehalten wird, die von beiden Parteien unterschrieben wird.
Zusammenfassend sei festgehalten, dass die Mediation, die eine äusserst hohe Erfolgsquote aufweist, kostengünstig ist und keinerlei Risiko für die Parteien nach sich zieht, viel zu wenig bekannt ist.
Zwei letzte Bemerkungen:
1°) Falls die Parteien über die wirtschaftlichen Grundlagen ihrer vorherigen Vereinbarungen neu verhandeln müssen, zum Beispiel in Anwendung einer sog. Hardship-Klausel, ist es für einen Schiedsrichter oder Richter sehr schwierig, eine wirksame und dauerhafte Lösung herbeizuführen. Man bewegt sich dort am Rande der Parteiautonomie und der Vertragsfreiheit; aus diesem Grunde ist das Schlichtungsverfahren in Situationen dieser Art einem Schiedsspruch oder einem gerichtlichen Verfahren, die zu möglicherweise willkürlichen Lösungen führen können, vorzuziehen.
2°) Man tut der Mediation Unrecht, wenn man sie als vorübergehende Mode-erscheinung ansieht; es ist in der Tat eine folgenschwere historische Tendenz, denn das was uns die begeisterten Amerikaner mit der Mediation vorschlagen, ist nichts anderes als eine im Orient seit der Antike verwandte Verfahrensweise, die das Abendland, nachdem es sie lange vernachlässigt hatte, wiederentdeckt hat.
Denjenigen die ihre Kenntnisse im Bereich der Mediation vertiefen möchten, empfehle ich zum Einstieg die Lektüre eines ausgezeichneten kleinen Leitfadens*, den die OMPI in französischer und englischer Sprache unter dem Titel “Guide de la Médiation OMPI" bzw. “Guide to WIPO mediation” herausgegeben hat und der namentlich eine Übersicht über die wichtigsten Verfahrensstufen enthält und meiner Ansicht nach sowohl auf ein urheberrechtliches Schlichtungsverfahren als auch auf Schlichtungs-verfahren sonstiger Rechtsstreitigkeiten anwendbar ist.
Ich möchte damit schliessen, Ihnen eine aus dem gesunden Menschenverstand erwachsene, von zwei amerikanischen auf dem Gebiet der Mediation tätigen Praktikern, Gerald Ton und James Hoenig, entwickelte Maxime zu verinnerlichen: “Die Parteien fühlen sich in einem Schlichtungssaal entspannter als in einem Gerichtssaal; daran sollte man vorher denken.”
* Dieser Ratgeber ist auf schriftliche Anfrage erhältlich beim Centre d’Arbitrage et de Médiation de l’OMPI, 34, Chemin des Colombettes, CH-1211 Genf 20, oder www.arbiter.wipo.int